Freiheit im Sinn und Ehrlichkeit im Blut – Rüdiger Behn im Interview mit Mixology Redakteur Nils Wrage

Die Firma Waldemar Behn kann auf eine knapp 125-jährige Geschichte zurückblicken. Entsprungen aus einer Altonaer Gastronomen- und Brauerfamilie, ließ sich das Unternehmen schließlich 1892 in Schleswig-Holstein nieder. Heute führen die beiden Brüder Rüdiger und Waldemar Behn das Familienunternehmen in vierter Generation. Wir trafen uns mit Rüdiger Behn zum ausführlichen Gespräch über die eigene Wahrnehmung, das weite Feld der Markenentwicklung und das, was aus dem Eckernförder Haus erwartet werden darf.

Interview_Ruediger_Behn

FREIHEIT IM SINN UND EHRLICHKEIT IM BLUT

Herr Behn,  Sie  sind  innerhalb der  Spirituosenindustrie eines der wenigen nach wie vor unabhängigen,  aber  international  tätigen  Familienunternehmen. Wie verorten Sie sich selbst in dem derzeit oft bemühten Gegensatz zwischen großen Konzernen und kleinen »Crafties«, die oft in sehr geringer Mannesstärke agieren?

Der größte Unterschied ist, dass wir uns als Familienunternehmen erlauben, daran zu denken, was die nächste Unternehmensgeneration übernehmen und verantworten wird, d. h. wir denken langfristig und nicht in Jahresquartals abschnitten. Das ist vielleicht die größte Differenz zu den großen Firmen, selbst wenn auch diese zum Teil familiengehalten oder sogar geführt sind, die aber wegen ihrer Größe faktisch wie ein Konzern funktionieren. Sie können zwar etwas mit »Familie« etikettieren, haben aber am Ende doch ein hierarchisches Unternehmen, in dem viele Ebenen damit befasst sind, sich mit Berichten und Ähnlichem auf dem Stand der Dinge zu halten. Wir verfügen trotz unserer relativen Größe über den Luxus, dass sich im Unternehmen so gut wie alle Beteiligten mit Namen kennen. Das führt zu einer ganz anderen Kultur des Miteinanders. Die Abgrenzung zu den »Crafties« ist einfach: Wir liefern wie die »Großen« nach definierten Standards gleichbleibend hohe Markenqualität über die Region hinaus. Wichtig ist aber auch, dass wir uns unsere Unabhängigkeit erhalten wollen. Wir wollen nicht abhängig sein von diversen Partnern oder Investoren, sondern unsere eigenen Entscheidungen selbstständig treffen – was uns bisher auch immer gelungen ist. Die Unabhängigkeit ist für uns Ziel und Wert zugleich. Sie langfristig zu sichern, glauben wir nur erreichen zu können, wenn wir versuchen, eine Reihe von Werten zu leben. Die sind nirgendwo so richtig aufgeschrieben und ebensowenig kommuniziert. In der Summe würde ich sie eher als eine Art Attitüde und als Grundverhalten des »ehrlichen Kaufmanns« zusammenfassen.

Sie meinen Unabhängigkeit nicht nur nach außen,  sondern  auch, was  das interne Geschehen angeht?

So könnte man das ausdrücken. Man kann es aber auch in gewissem Umfang als Form von Freiheit betrachten. Für unsere Mitarbeiter bedeuten diese Werte auch, dass sie täglich mitbekommen, für wen und für was sie arbeiten, anstatt für eine abstrakte Instanz tätig zu sein.

Bedeuten  Freiheit  und Unabhängigkeit  für  Sie und Ihren Bruder auch, Entscheidungen grundsätzlich alleine fällen zu können?

Da mein Bruder und ich die alleinigen Gesellschafter sind, ginge das rein rechtlich, aber wir machen das so nicht. Stattdessen haben wir einen von uns unabhängigen Beirat mit Expertise in Unternehmensführung installiert, der verhindern soll, dass wir strategische Entscheidungen blind und selbstherrlich treffen.

Das  klingt  auch  nach  einem  gewissen  Aspekt von  Heimatverbundenheit.  Die  Geschichte  Altonas und Schleswig-Holsteins  ist eng verknüpft mit Skandinavien und Dänemark im Speziellen. Inwiefern sind Sie und Ihre Firmenkultur beein-flusst durch diese Tatsache und die immer noch gegebene starke Nähe zu Skandinavien?

Ich denke schon, das wir »ein bisschen skandinavischer« als die Durchschnittsdeutschen sind, wobei es den typischen Skandinavier natürlich nicht gibt. Aber wenn man sich darum Gedanken macht, dann geht es nach meiner Auffassung bei spezifisch Skandinavischem vor allem um Werte wie Toleranz und gegenseitige Fürsorge, aber auch um ein sehr hohes Maß an Offenheit, Unvoreingenommenheit und Friedfertigkeit. Das ist etwas, was wir definitiv zu leben versuchen, wobei all dies natürlich für uns als Eckernförder auch teilweise implizit ist, liegt Eckernförde doch im Landesteil Schleswig,das lange dänisch war und in dem heute noch die Rechte der großen hier lebenden dänischen Minderheit wie selbstverständlich verankert sind. Aber diese Offenheit, die selbstverständlich viel mit der eben erwähnten Freiheit zu tun hat, ist etwas, was wir als wichtigen Teil unseres Selbstbildes verstehen. Und auch für mich persönlich würde ich einmal spitz formulieren, dass mir Kopenhagen deutlich näher ist als beispielsweise München. Und das meine ich nicht nur räumlich.

Hat diese Bindung zu Dänemark vor zwei Jahren  mit  zu  dem  Entschluss  geführt,  den  dänischen Danzka Vodka zu übernehmen, oder lag es doch eher an einer generellen Verfügbarkeit der Marke?

Es war auf jeden Fall mit ein bestimmender Grund, dass wir uns seinerzeit an die Marke Danzka herangetraut haben. Wenn man die Mentalität einer Region kennt, versteht man das Produkt wesentlich besser. Es ging uns nicht grundsätzlich darum, irgendwann eine starke Vodkamarke zu führen. Aber die Tatsache, dass Danzka aus Kopenhagen stammt und gleichzeitig eine stark differenzierte Marke mit einem klaren Kundenprofil ist, hat uns die Entscheidung leicht gemacht. Sehen Sie, uns geht es bei unseren Marken stets um eine starke Nachvollziehbarkeit, Stärke und Souveränität. Da macht eine dänische Marke deutlich mehr Sinn als etwa eine französische. Davon abgesehen, hat uns aber auch die Produktqualität überzeugt, sonst hätten wir die Marke nicht übernommen.

Der Begriff der Marke oder »Brand« wird in letzter  Zeit  überaus  häufig  thematisiert.  Auch  Sie bezeichnen sich selbst nicht nur als Spirituosenhersteller,  sondern  auch  als  Markenentwickler. Sie haben gerade in den 1980er- und 90er-Jahren mit Küstennebel, Kleiner Feigling und Dooley’s, mehrere bis heute überaus  erfolgreiche und die jeweiligen Segmente prägende Marken entwickelt und  lanciert, die  sich vor allem direkt an Endverbraucher  richten. Was  genau macht  für  Sie die Entwicklung einer Marke aus? Ist eine Marke letztlich nur  ein Verkaufsinstrument  oder wirklich  etwas,  was  mit  dem  eigentlichen  Produkt einhergeht?

Eine Marke hat viel mit Glaubwürdigkeit zu tun. Die fängt aber erst einmal beim Unternehmen an. Wir haben immer Marken entwickelt, uns aber gleichzeitig als Hersteller nie verkauft. Das heißt zum Beispiel, dass wir im Gegensatz zu vielen anderen keine Zweit- oder Handelsmarken produzieren oder abfüllen. Das, was wir produzieren, wird auch unter unserem Namen verkauft, und dazu stehen wir dann. Sehen Sie, wir nennen uns ja im Untertitel seit einiger Zeit »World of Unique Brands«, das ist natürlich auch eine Ansage und Verpflichtung. »Marke« muss Vertrauen geben. Das heißt für mich, neben der Integrität des Unterneh mens, dass eine glaubwürdige Unterscheidbarkeit gegeben ist. Wäre die nicht durch den Inhalt und das Packaging gewährleistet gewesen, hätten wir auch Danzka nicht übernommen – trotz der Nähe zu Dänemark! Wir haben alle unsere Marken immer daraufhin entwickelt oder gekauft, dass ihre Alleinstellungsmerkmale einen großen Abstand zum Wettbewerb gewährleisten. So, wie wir auch keine Handelsmarken herstellen, haben wir auch nie das produziert, was man gemeinhin als »Metoos« bezeichnet (also Nachahmerprodukte, d. Red.) – im Gegenteil, von unseren Marken gibt es Imitate oder Nachahmer, was uns natürlich wiederum zeigt, dass wir als Markenentwickler eine gewisse Kompetenz erlangt haben.

In  hochklassigen Bars  greift  immer  stärker  der Trend  um  sich,  bestimmte  Zutaten wie  Infusionen und Liköre  eher  selbst  zu  produzieren, um eine  komplette  Steuerung  der  Produktqualität gewährleisten zu können. Inwieweit sehen Sie in diesem Bereich als  traditioneller Likörhersteller und  Importeur noch Möglichkeit,  tiefer  ins Geschehen einzugreifen? Wo gibt es dort Potenzial für Ihre Marken?

Nun, ich würde einer hochwertigen Bar nicht unbedingt »Kleiner Feigling« anbieten. Aber gerade bei dem Stichwort der Feige haben wir zum Beispiel mit »Figenza« seit fünf Jahren einen klaren Feigenlikör aus natürlichen Zutaten parat, der bislang zwar nur an der US-Ostküste präsent ist, dort aber mittlerweile in jeder besseren Bar in New York, New Jersey oder Maryland angetroffen werden kann. In Deutschland haben wir dann ein wenig das Problem, dass wir das Produkt nicht ohne Weiteres auf den Markt bringen können: Alle würden behaupten, dass das einfach nur Kleiner Feigling mit höherem Alkoholgehalt sei. Das stimmt natürlich nicht im Geringsten – es sind zwei völlig unterschiedliche Produkte mit komplett verschiedenen Zielgruppen und Intentionen. Ein bisschen kommt einem da vielleicht der eigene Erfolg auf anderem Gebiet in die Quere, die unterschiedlichen Marken beeinflussen sich dann gegenseitig. Aber wir haben andere Marken, die für die Bar interessant sind und die sich in den letzten Jahren gut entwickelt haben und das sicherlich auch weiterhin tun werden. Denken Sie nur an Radeberger Kräuterlikör und Andalö, unseren Sanddorn-Likör, den wir mit einem deutlichen Bar-Gedanken herausgebracht haben. 2011, also im Jahr nach dem Start, war Andalö die am zweithäufigsten verwendete Marke bei den Deutschen Cocktailmeisterschaften. Mit beiden Marken haben wir jedenfalls in naher Zukunft noch viel vor. Und dann haben wir mit Heering Cherryliqueur natürlich noch einen der Kern-Liköre der Barwelt im Vertriebsportfolio. Heeringunterscheidet sich auch für uns in der Wahrnehmung, denn er ist das einzige unserer Produkte, das größtenteils über die Gastronomie und vor allem über die Bar verkauft wird. Unsere eigenen Marken haben da eindeutig noch Potential, wir machen uns aber nicht verrückt. Außerdem, um das von weiter oben aufzugreifen, muss ja auch noch ein wenig Arbeit für die nächste Generation übrig bleiben. Grundsätzlich dürfen Sie natürlich eines nicht vergessen: Die Bar ist für uns eben nur ein kleiner Teil unseres Marktes. Mir persönlich ist es zwar nicht gleich, wo wir unsere Erzeugnisse verkaufen, aber wir müssen da sein, wo man uns Gehör und Platz bietet. Wenn wir nur die Mengen betrachten, die wir über die Bar absetzen, dann würde ich meine Mitarbeiter nicht satt bekommen.

Könnten Sie  sich denn prinzipiell  vorstellen,  in aktuell  sehr  gefragte  Bar-Kategorien  wie  Gin oder  American Whiskey  –  als  Importeur  oder Eigentümer – mit einzusteigen, um sich dort als Unternehmens-Marke stärker zu etablieren?

Grundsätzlich habe ich nichts dagegen. Aber dann muss es sich auch in diesem Fall um eine besondere, eben einzigartige Marke handeln, nicht einfach nur ein beliebiger neuer Gin – wir wollen und werden da sicher nichts erzwingen. Und es darf nicht dazu führen, dass wir in gigantische Kapitalwettläufe einsteigen, die wir gegen die großen Konzerne ohnehin nur verlieren können. Aber gerade, wenn es um Distributionskooperationen geht, sind wir schon aufgeschlossen. Jedoch sprechen wir hier natürlich auch über Ressourcen, die wir sinnvoll und vernünftig einsetzen müssen, denn wir haben keine Hundertschaft an Außendienstlern auf der Straße. Es ist letztlich immer eine Frage, ob eine Marke den Einsatz aller rechtfertigt.

Herr Behn, wir  danken  Ihnen herzlich  für  das Gespräch.

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